Corona-Krise: Der Fußball wird länger leiden

Interview aus der HNA vom 26.03.2020

HNA: Ein Virologe hat gesagt, dass dieses Jahr überhaupt kein Fußball mehr gespielt wird. Macht es da überhaupt Sinn, über Geisterspiele zu diskutieren?

Jörn Quitzau: Mit den sogenannten Geisterspielen ließen sich die finanziellen Schäden weitgehend auf die Erlösausfälle aus den Ticketverkäufen beschränken – was ja auch schon ein herber Verlust ist. Aber die Spiele könnten im TV übertragen werden – eventuell wären sogar Übertragungen im Free-TV möglich, um eine möglichst große Zuschauerzahl zu erreichen. Dann würden die TV-Gelder fließen und die Sponsoren würden ihre Zielgruppe erreichen. Allerdings ist gerade nicht die Zeit, in der ökonomische Kriterien das Handeln bestimmen können.

Sind Kompaktturniere, wie sie derzeit diskutiert werden, eine Lösung?

Das wäre sicher eine Option, sobald es von den Virologen grünes Licht gibt. Vor zwei Wochen hätte ich noch gesagt, dass nach der Zwangspause – zum Beispiel ab Mai – die Liga im Notbetrieb mit englischen Wochen und zwei oder gar drei Spielen pro Woche zu Ende gespielt werden könnte. Aber ein Ende der Zwangspause im Mai scheint ja inzwischen mehr als fraglich zu sein.

Welche Summen brechen den Vereinen weg?

Einzelne Vereine haben die Verluste bei Geisterspielen beziffert. Aus Dortmund hört man Zahlen von gut drei Millionen Euro Einnahmeverlust pro Geisterspiel. Bezogen auf die Liga sind Zahlen im Umlauf, dass ein Abbruch der laufenden Saison zu einem Gesamtverlust in Höhe von 770 Millionen Euro durch fehlende TV-Gelder, Zuschauer- und Sponsoringeinnahmen führen würde. Der DFB rechnet im schlimmsten Fall mit einem Verlust von 50 Millionen Euro für das Wirtschaftsjahr 2020, wenn Länderspiele und DFB-Pokalspiele ausfallen.

Wer ist besonders betroffen?

Alle sind betroffen. Natürlich unterscheiden sich die finanziellen Polster zwischen den Klubs, sodass finanzstarke Klubs etwas länger durchhalten können. Aber auf eine Situation wie diese ist niemand vorbereitet. Und fairerweise möchte ich hinzufügen: Auf so ein Szenario konnte sich niemand vorbereiten. Ein vorsichtiger Kaufmann kann gewisse Sicherheitspolster anlegen. Dass aber quasi über Nacht große Teile der Einnahmen wegbrechen, kann auch ein noch so vorsichtiger Kaufmann nicht einplanen.

Mit welchen Maßnahmen kann der Profifußball gerettet werden, wenn keine Spiele möglich sind?

Die Klubs müssten die Ausgaben massiv runterfahren. Das Instrument der Kurzarbeit müsste für viele Mitarbeiter in den Geschäftsstellen genutzt werden. Die große Frage aber ist: Was passiert mit den hohen Spielergehältern? Dass die Spieler in der gegenwärtigen Situation Solidarität zeigen, belegt der Gehaltsverzicht etwa bei Borussia Mönchengladbach und Werder Bremen oder die Spendenaktionen mehrerer Spieler. Im schlimmsten Fall würde die Solidarität aber wohl noch deutlich weiter strapaziert werden müssen. Man darf nie vergessen: Die hohen Gehälter im Profifußball sind das Ergebnis der Massenattraktivität und der vielen zahlenden Zuschauer. Aktuell gibt es aber keine zahlenden Zuschauer. Juristisch haben die Spieler auf Basis ihrer Verträge natürlich einen Anspruch auf die vereinbarten Gehälter. Ökonomisch ist aber gerade die Basis weggebrochen.

Passiert dies nicht, drohen wie auch bei vielen Unternehmen außerhalb der Sportwelt etliche Insolvenzen von Vereinen. Würde dann das gesamte Gefüge des Fußballs zusammenbrechen?

Der Fußball steht da vor einer ähnlichen Situation wie viele andere Unternehmen auch. Wenn die Infektionswelle eingedämmt ist, wird sich das Leben normalisieren und die Wirtschaft wieder anlaufen. Der Fußball hat zusätzlich das besondere Problem, dass es zumindest bei den Stadionzuschauern sehr viele enge Kontakte gibt. Solange also kein Impfstoff vorhanden ist, wird der Fußball wohl nicht zum normalen Geschäft zurückkehren können. Ähnliche Probleme haben zum Beispiel auch Konzertveranstalter. Der Fußball gehört also tendenziell zu den Branchen, die länger unter der Krise leiden werden.

Zahlt der Profifußball nun die Rechnung für die Entwicklung zu einem milliardenschweren Geschäft?

Die Liga wäre vermutlich in keiner angenehmeren Situation, wenn sie in der Vergangenheit auf bestimmte Kommerzialisierungsschritte verzichtet hätte. Diese Krise ist so einzigartig und so tief, dass sie nicht mit etwaigen Fehlentwicklungen, die es im Profifußball ganz sicher gab, vermengt werden sollte. Dies ist keine Krise, die der Fußball oder irgendeine andere Branche selbst verschuldet hat. Es ist wie eine Naturkatastrophe, die man nicht vorhersehen kann.

Was könnte die Lehre aus dieser Krise sein?

Die Krise dürfte das Gemeinschaftsgefühl stärken und deutlich machen, dass der Fußball umso besser funktioniert, je mehr die einzelnen Akteure an einem Strang ziehen. Und schon jetzt zeigt sich, welche Bedeutung die Stadionfans tatsächlich haben. Die Verantwortlichen dürften – nach nur einem einzigen Geisterspiel in der Bundesliga – erkannt haben, wie wichtig die ganz normalen Fans für den zuweilen zum Unterhaltungsprodukt mutierten Sport sind.

 

Das Interview führte Torsten Kohlhaase, Hessische Niedersächsische Allgemeine

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