Fazit zur EM: Reform- oder Auslaufmodell?

„Meine Vorfreude auf die EM hält sich in sehr engen Grenzen!“

Mit einem einzigen Satz konnte ich vor dem Beginn der Europameisterschaft 2016 mein gesamtes persönliches Umfeld mühelos gegen mich aufbringen. Ich galt wahlweise als Miesepeter, Spaßbremse oder Spielverderber. In jedem Fall war die Aussage ein sicheres Vehikel, mich ziemlich allein zu fühlen.

Vier Wochen später sieht die Welt ganz anders aus. Das EM-Fazit vieler Kommentatoren fällt ernüchtert aus. Aber nicht nur die Kommentatoren in den Redaktionen sind enttäuscht, auch Trainer-Koryphäen wie Ewald Lienen und Lucien Favre fanden in den letzten Tagen deutliche Worte; kritische Worte.

Einig sind sich alle Enttäuschten, dass das sportliche Niveau der Spiele mehrheitlich schwach war. Das ist sicher richtig – und zum Glück hatte ich viele der langweiligen Spiele gar nicht erst eingeschaltet. Richtig ist auch, dass die Aufstockung des Teilnehmerfeldes von 16 auf 24 und die damit verbundene Ausweitung von drei auf vier Wochen nicht gerade attraktivitätssteigernd gewirkt hat. Und schließlich ist auch richtig, dass die Top-Spieler am Ende einer anstrengenden Saison körperlich oft nicht mehr in der Lage sind, Bestleistungen abzurufen.

Für mich kommt aber ein entscheidender Punkt hinzu, der mich schon bei den letzten Welt- und Europameisterschaften umtrieben und mir bereits vor den Turnieren die Stimmung getrübt hat: Den Welt- und Europameisterschaften ist in den vergangenen Jahren das Besondere, das Exotische verloren gegangen. Vorbei sind die Zeiten, in denen man sich auf die Superstars vom anderen Ende der Welt bzw. aus den anderen Ländern Europas gefreut hat. Welt- und Europameisterschaften versprachen andere Gesichter, andere Spielsysteme und vor allem ein höheres spielerisches Niveau. Heute ist bei diesen Turnieren schlichtweg nichts mehr neu. Man kennt die Spieler aus der Bundesliga und aus der Champions League. Woche für Woche werden die internationalen Stars frei Haus geliefert.

In der Champions League sind die Top-Teams gleichbedeutend mit einer Welt-Auswahl. Lucien Favre bemerkt zurecht: Nationalmannschaften sind diesen Welt-Auswahlen sportlich quasi zwangsläufig unterlegen. Für die Europa- und Weltmeisterschaften werden die Top-Spieler praktisch nur noch einmal auf anderen Plattformen namens Nationalmannschaft zusammengestellt – besserer Sport wird dadurch aber nicht gezeigt.

Aus Vermarktungssicht behalten die Nationalmannschaften trotz der schwächeren Leistungen ihre Berechtigung. Der Vergleich der Nationen fasziniert offenkundig noch immer die Massen; genauso wie das Bedürfnis der Fans, mit Gleichgesinnten im Stadion, in Kneipen oder auf Fan-Meilen zu feiern. Noch lässt sich das Produkt gut vermarkten, aber Übersättigungstendenzen waren bei dieser EM nicht mehr zu übersehen.

Die Exotik vergangener Zeiten lässt sich nicht mehr zurückbringen, dafür ist der heutige Fußball zu international und medial zu omnipräsent. Aber die Entscheidung der UEFA, auf Quantität statt auf Qualität zu setzen, sollte schleunigst überdacht werden – sonst wird die EM doch noch zum Auslaufmodell.

Autor: Jörn Quitzau